Transidentität und Diversität
Aus den Medien haben viele Menschen schon etwas über „Transsexuelle“ gehört. Oft wissen Sie aber dennoch nicht viel über das Thema und sie wissen auch nicht gut Bescheid. Manches, was sie hören, ist auch falsch. Vor allem ist „Transsexualität“ auch ein falscher Oberbegriff über das Phänomen. Wir sprechen besser von
„Transidentität“.
Was ist damit gemeint? Es handelt sich um Menschen, bei denen das gefühlte Geschlecht und das körperliche Geschlecht, mit dem sie auf die Welt gekommen sind, nicht zusammenpassen. Diese sind gleichsam „inkongruent“. Genau das haben alle transidenten Menschen gemeinsam, so unterschiedlich sie auch sind: Es gibt Trans*männer, das sind Frauen, die das Zielgeschlecht Mann haben. Dann gibt es Trans*frauen, das sind Männer, die das Zielgeschlecht Frau haben. Und es gibt Menschen, die sich gar nicht zuordnen wollen oder können und die sich zum Teil als „Queer“ bezeichnen.
Wie entsteht „Transidentität“? Das wissen wir nicht genau. Die Natur arbeitet mit ganz vielen Bausteinen. Das gilt auch für die Zusammensetzung von Geschlecht. Die Herstellung von Geschlecht bei einem Menschen ist ein komplizierter und sensibler Vorgang. Daher gibt es viele Übergänge und Variationen. Wir wissen mittlerweile, dass es keine „richtigen“ Frauen oder Männer gibt. Wir wissen daher auch, dass transidente Menschen nicht krank sind, sondern dass es sich bei diesem Phänomen um eine Normvariante handelt. Allerdings können die Neurobiologen bis heute nicht genau erklären, wie es zur Manifestation des Phänomens kommt. Es gibt allerdings einige interessante Theorien, die weiterhelfen.
Wer wird transident? Im Prinzip kann jeder davon „betroffen“ sein. Man wird schon transident geboren. In Abhängigkeit von der eigenen inneren Verfasstheit und dem sozialen Umfeld äußert sich dies schon im Kindesalter oder aber manchmal erst im fortgeschrittenen Erwachsenenalter. Dabei ist zu beachten, dass alle soziale Gruppen und Schichten „betroffen“ sein können: Handwerker_innen, Angestellte, Professor_innen, Richter_innen usw.
Was wollen transidente Menschen? Sie wollen genau das erreichen, was nichttransidente Menschen (oder auch: Cis*menschen) wie selbstverständlich tun: Betreffend das Geschlecht körperlich und seelisch stimmig leben – in allen den Bereichen, die für die meisten Menschen wichtig sind: Privatleben, Familie, Arbeit, Beruf etc. Sie wollen, dass Ihre Partner_innen und Kinder nicht gemobbt bzw. diskriminiert werden. Sie wollen auch selbst nicht diskriminiert werden. Warum, fragt man sich, wird Ihnen das noch so schwergemacht?
Wie leben transidente Menschen? Sehr unterschiedlich. Es gibt so viele verschiedene transidente Lebensläufe wie es transidente Menschen gibt. Und genau deshalb wird an „Trans*“ das Sternchen angehängt: Es soll zeigen, dass Trans* ganz unterschiedliche Menschen umfasst, die auch zum Teil unterschiedliche Vorstellungen von ihrer Transidentität haben. Das macht die Sache zum Teil kompliziert. Sie alle aber vereint die fehlende Übereinstimmung von körperlicher und innerer („gefühlter“) Geschlechtsidentität. Dabei wird die Transidentität ganz unterschiedlich ausgelebt: Manche wechseln einmal im Jahr die Kleidung in Richtung Zielgeschlecht, manche tun dies öfters. Manche nehmen dann auch irgendwann Hormone. Manche lassen auch eine Personenstandsänderung vornehmen. Manche wünschen eine geschlechtsangleichende Operation. Manche haben dann ein soziales „Coming out“, d.h. sie leben in der Gesellschaft offen im Zielgeschlecht. Manche nehmen körperliche Veränderungen an sich vor ohne aber ein soziales „Coming out“ zu haben, ihnen geht es um das Körpergefühl. Als „transsexuell“ bezeichnet man diejenigen, die eine weitest gehende soziale und körperliche Angleichung vollzogen haben. Wie auch immer die Kombination ist: Es geht für den betreffenden Menschen darum, diejenige Lösung zu finden, mit der er glücklich ist. Und es geht daher eben nicht darum, eine „richtige“ Frau oder ein „richtiger“ Mann zu werden. Wer transident ist, der bleibt transident - sein Leben lang. Es gibt keine vorgegebene Richtung – im Gegenteil: es gibt ein vor und ein zurück. Manch eine(r) will im Alter beispielsweise wieder im Geburtsgeschlecht leben. Damit sind die Schwierigkeiten des transidenten Lebens angedeutet: Hormoneinnahme, Personenstandsänderung und geschlechtsangleichende Operation sind Teil eines „medizinisch-rechtlichen Komplexes“, der die transidenten Menschen „krankschreibt“. Warum braucht man zwei psychiatrische Gutachten, um den Geschlechtseintrag und den Namen in den Ausweisdokumenten zu ändern? Und die muss man auch noch selbst bezahlen. Wieso braucht man einen „Alltagstest“, um im Zielgeschlecht leben zu dürfen? Wieso braucht man psychiatrische Gutachten für die Bezahlung der geschlechtsangleichenden Operation durch die Krankenkassen? Wir wissen heute: Bei den Gutachten kommt das heraus, was man bereits vorher wusste. Der Bundesrat hat am 2. Juni 2017 eine Empfehlung an den Bundestag gegeben, das „Transsexuellengesetz“ (TSG), das die Personenstandsänderung bis heute regelt, abzuschaffen. Man kann nur hoffen, dass dies bald geschieht.
Wie verhalte ich mich gegenüber transidenten Menschen? Zunächst einmal gilt: Höflich und respektvoll – so, wie man sich allen Menschen gegenüber verhalten sollte. Wichtig ist die passende Anrede gemäß der äußeren Erscheinung. Bei weiblicher Kleidung ist die Anrede also „Frau“, bei männlicher entsprechend „Herr“. Ist die Person nicht zuzuordnen („Queer“), dann darf man höflich nachfragen. Denn in den Kopf der Person schauen kann man ja (gott-sei-dank!) nicht. Kommt man ins Gespräch, kann man viel fragen, wenn man es höflich macht. Bevor man unsicher ist, wenn man nicht weiß, wie man sich verhalten soll oder ob man das Gegenüber „falsch behandelt“, dann ist es oft besser, den Punkt direkt anzusprechen. Wichtig ist insgesamt gegenseitige Rücksichtnahme. Wegen der meist schwierigen Lebenssituation und den zahlreichen alltäglichen Herausforderungen sind transidente Menschen öfters gestresst. Als Gegenüber sollte man hier gelassen bleiben. Umgekehrt sollten transidente Menschen Geduld mit Cis*menschen haben, die sich aus Versehen versprechen (Anrede „Herr“ statt „Frau“) oder die zunächst unsicher sind. Nur durch das Aufeinanderzugehen werden Animositäten, Unsicherheiten und Missverständnisse beseitigt. Aus diesem Grund ist es auch so wichtig, dass Cis*menschen über das Phänomen „Transidentität“ Bescheid wissen.
Was sind transidente Menschen NICHT? Folgende Personengruppen haben mit transidenten Menschen zunächst nichts zu tun:
Intersexuelle Menschen
Menschen, die intersexuell sind, haben einen Körper, der meist schon kurz nach der Geburt den beiden klassischen Geschlechtern nicht zugeordnet werden kann. Dafür kann es verschiedene Gründe geben, die hier nicht ausführlicher behandelt werden können. Da aber die meisten Menschen in unserem Land dem bipolaren Geschlechtermodell (Frau und Mann) anhängen, besteht nach wie vor die Tendenz, die Neugeborenen gleich zuordnen zu wollen. Das hat zum Teil verheerende Konsequenzen, da geschlechtsangleichende Maßnahmen im Säuglingsalter der Person die Möglichkeit rauben, in einem späteren Lebensabschnitt das innere, „gefühlte“ Geschlecht zur Geltung zu bringen. Auch sehen sich manche intersexuellen Menschen als Angehörige einer Art „dritten Geschlechtes“ und wollen nicht zugeordnet werden. Frühe Operationen im Säuglingsalter sollten deshalb verboten werden! Der Unterschied zu transidenten Menschen liegt in dem Umstand, dass die Inkongruenz von körperlichem und psychischem Geschlechtserleben bei Letzteren vom inneren Geschlecht ausgeht, während der Ausgangspunkt bei intersexuellen Menschen der körperliche Zustand ist.
Schwule und Lesben
Bei diesen geht es um die Geschlechtsausrichtung, also die Wahl eines gleichgeschlechtlichen Partners und NICHT um die Geschlechtsidentität. Transidente Menschen können die unterschiedlichsten Geschlechtsausrichtungen haben.
Bisexuelle Menschen
Diese Menschen können sexuelle Beziehungen zu Frauen und Männern aufnehmen. Es handelt sich aber auch hier um die sexuelle Ausrichtung. Das hat nichts damit zu tun, welchem Geschlecht sich diese Personen zugehörig fühlen.
Dragqueens und Dragkings
Dragqueens (Männer) und Dragkings (Frauen) treten in Shows auf und sind im anderen Geschlecht gekleidet. Meist sind sie stark geschminkt. Sie spielen mit dem Umziehen, das ihnen einen besonderen „Kick“ gibt. Sie würden sich aber nicht als „transident“ bezeichnen, sondern fühlen sich im Gegenteil in ihrem Geburtsgeschlecht zuhause.
Transvestiten
Klassische Vertreter dieses Phänomens werden durch das Tragen der Wäsche bzw. Kleidung des „anderen“ Geschlechts elektrisiert und erregt. Auch sie fühlen sich aber in ihrem Geburtsgeschlecht zuhause. Gemeinsam gehören die bisher genannten Personengruppen (inkl. transidente Menschen) in den großen übergreifenden Bereich
Transgender
Mit dieser Bezeichnung werden meistens alle diejenigen Menschen bezeichnet, die die Geschlechtergrenzen überschreiten, aus welchen Gründen auch immer.
Das Thema „Diversität“
Mir persönlich ist es wichtig, das Thema „Transidentität“ in den größeren Zusammenhang einzuordnen. Und dieses Thema heisst „Diversität“ oder „Vielfalt“. Was ist damit gemeint?
Transidente Menschen sind eine stetig wachsende Gruppe von Menschen, weil mittlerweile sich schon Kinder und Jugendliche ihrer Transidentität bewußt werden und dies explizit äußern. Ferner spüren auch ältere Menschen in stärkerem Masse ihre eigentliche Identität. Das liegt daran, dass die Gesellschaft der Bundesrepublik seit etwa den 1990er Jahren in einer bewundernswerten Weise offen geworden ist. Dennoch handelt es sich bei transidenten Menschen um eine relativ kleine soziale Gruppierung. Allerdings ist das Verhalten gegenüber Vertreter_innen dieser Gruppe ein Gradmesser dafür, wie ernst es die Bevölkerung mit der Akzeptanz von Menschen nimmt, die „anders“ sind, d.h. die gegenüber der Majorität der Bevölkerung ein Alleinstellungsmerkmal hat. Ob trans*weiblich, trans*männlich oder queer, ob intersexuell, lesbisch, schwul, bisexuell, ob muslimisch, christlich oder jüdisch, ob geistig oder körperlich gehandicapt, ob männlich oder weiblich usw.: Wie freiheitlich und demokratisch eine Gesellschaft ist, zeigt sich daran, dass alle gleichberechtigt sind und in der Gesellschaft ihr Leben leben können, sofern sie nicht die Freiheit anderer beeinträchtigen.
Daher ist es meines Erachtens eine der wichtigsten Aufgaben, in den Köpfen der Menschen etwas zu verändern. In allen Lebenssituationen und bei allen Alltagsherausforderungen muss es klar sein, dass alle Menschen gleichberechtigt sind und gleiche Chancen haben sollten. Es muss ein entsprechendes, spürbares Klima hergestellt werden, dass dies auch als selbstverständlich erachtet wird. Hierzu müssen Gleichstellungsbeauftragte der diversen Institutionen ihren Beitrag leisten, ferner Beratungs- und Antidiskriminierungsstellen. Ferner sollte dies von Entscheidungsträger_innen auf den verschiedenen Ebenen vorgelebt werden.
Dies alles erreichen wir nur, wenn Menschen der genannten Gruppierungen mit der Bevölkerung reden und ihre Situation erläutern. Und wir erreichen dies auch dann nur, wenn umgekehrt die Bevölkerung willens ist, zuzuhören und sich auf das Thema einzulassen.
Deswegen spreche ich offen über meine Trans*identität und berate meine Gleichgesinnten, aber auch Angehörige und alle Interessierten. Ich halte Vorträge und führe Workshops durch.
Wer mehr über das Thema „Trans*“ und seine Einbindung wissen will, kann die Filme über mich ansehen oder mein Buch kaufen (siehe unter „Media“). Man kann mich aber auch anschreiben oder ansprechen! Ich freue mich aber vor allem auch über eine Nachricht von Ihnen!