Transidentität/Transsexualität im Nationalsozialismus
Dieser Vortrag fand gestern, am 19.2.2020 in der Landeszentrale für politische Bildung in Mainz statt. Den Rahmen bildete eine Vortragsreihe des Queernet-Rheinland-Pfalz rund um den Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus (27.1.2020).
In diesen Blogs berichte ich nicht über jeden Vortrag, über jeden Aspekt, der mich interessiert. Dieses Thema ist jedoch so wichtig, dass ich an dieser Stelle einige Bemerkungen machen möchte. Denn das Thema NS-Zeit bildet sich auf eine ganz eigene Weise auch heute noch im Umgang der Gesellschaft mit transidenten Menschen ab. Das zeigt sich dann, wenn man das Thema im Kontext der Trans*geschichte seit 1800 betrachtet.
Im Rahmen der Entstehung der bürgerlichen Welt, also im 19. Jahrhundert, wurde Trans* als Thema erst eigentlich entdeckt. Woran lag das? Daran, dass eben diese bürgerliche Welt, das Bürgertum, die rigide bipolare Geschlechterordnung schuf, mit der wir heute noch umgehen (müssen). Alles wurde sortiert, so auch die Geschlechter. Und die neu entstehende naturwissenschaftliche Medizin mit ihrem experimentellen Zugang unternahm den folgenreichen Schritt, die Anatomie des Menschen mit seiner sozialen Position/Funktion zu koppeln. Man wusste jetzt, welche sozialen Funktionen die Frau und der Mann hatte. Klare Abgrenzungen wurden geschaffen. Schwule, Lesben und eben auch transidente Menschen passten nicht in dieses Schema.
Daher nahm sich die Psychiatrie ihrer an - dasjenige Fach, das für all diejenigen Bevölkerungsgruppen zuständig war (und sich selbst eilfertig anbot), die ausgegrenzt und überwacht werden mussten: "Syphilitiker", "Morphinisten", "Alkoholiker", "Irre", "Homosexuelle" und auch in diesem Zusammenhang Menschen mit "conträrem Sexualempfinden". Wir würden heute sagen: "transidente Menschen". Und das Thema Trans* wurde mit dem Thema "Homosexualität" vermengt. Herzkasper und Aufregung verursachte Sex zwischen Männern. Und natürlich war man schwul, wenn man sich im Gegengeschlecht kleidete, denn man wollte ja nur Sex und man wollte nur auf das eigene Geschlecht anziehend wirken. Wer sich zur Frau umzog, der war - wenn er onaniert hatte - auf der letzten Stufe homosexueller "Perversität" angekommen. Wichtig: Wir wissen durch eine Quellenanalyse - das hab ich vor einiger Zeit gemacht - dass es wirklich unter anderem transidente Menschen waren, die da vor den Psychiatern sassen, standen oder lagen. Und wichtig auch: Diese vermengte Gruppe der Schwulen und Transidenten (heutige Begriffe) war krank. Und diese Kranken mussten observiert und zum Teil verwahrt werden.
Dann, zwischen 1900 und 1930, fand eine deutliche Erleichterung der Situation für die Trans*menschen statt, das Klima wurde besser. Vor allem durch die Gründung des ersten Sexualwissenschaftlichen Institutes der Welt 1919 und durch seinen Betreiber Magnus Hirschfeld. Er war sehr moderat, hörte "Transvestiten", wie er sie seit 1910 nannte, zu und differenzierte sie ansatzweise von den "Homosexuellen". Trans*menschen formten in Ansätzen zu mindest ein bischen ein eigenes Selbstverständnis (dazu später mal mehr). In Sachen Trans* war Deutschland in diesen 3 Jahrzehnten führend in der Welt!
Aber die Stigmatisierung und Diskriminierung blieb auch in dieser Zeit. Diese moderate erste Welle der Zuwendung für transidente Menschen war nur ein Zeitstrom neben der beschriebenen Krankerklärung durch die zeitgenössische Psychiatrie, die einen großen Einfluss auf die Zeitgenoss_innen hatte.
Und es wundert jetzt auch nicht, dass wir eben diesen Zustand der Vermischung von Schwul und Trans* als perverse Krankheit auch in der NS-Zeit finden. Auch die Nationalsozialisten bekämpften Sex zwischen Männern. Das jetzt brutaler denn je: Stigmatisierung, Diskriminierung, Verfolgung, Ermordung in Konzentrationslagern. Und mit ihnen diejenigen Trans*menschen, vor allem Trans*frauen, die auch Sex mit Männern hatten oder in den Verdacht gerieten, solchen zu haben, solchen gehabt zu haben oder an solchem Interesse zu haben. Und mit ihnen diejenigen Trans*menschen bzw. Trans*frauen, die keinen Sex mit Männern haben wollten aber die sich irgendwie auffällig verhielten in der Öffentlichkeit, die sich so benahmen, dass sie als "asozial" eingestuft wurden. Auch das konnte töten, konnte zur Todesfalle werden.
Das "Dritte Reich" sticht hervor mit seiner mörderischen Verfolgung der genannten Gruppen, mit seiner Zerstörung der Leben von Individuen (auch zum Teil der Leben derjenigen, die überlebten) und mit seinem brutalen Kampf gegen Vielfalt. Aber 1945 ist die Geschichte nicht zuende. In den 1950er Jahren in Westdeutschland griff man zum Erhalt sozialer Stabilität in den Wirren der Nachkriegszeit auf das Sozialsystem des Kaiserreiches zurück (!). Das bipolare Geschlechtermodell des 19. Jahrhundert wurde verschärft in die Jetztzeit geholt. Schluss war jetzt mit der Lockerung der Sitten durch die Nazis, um für Fortpflanzung der "Arier" zu sorgen. Jetzt im "motorisierten Biedermeier" (Erich Kästner) der Nachkriegszeit wussten Frauen und Männer wieder, was sie zu tun hatten: Sie die perfekte Hausfrau, er der Sammler und Jäger im Wirtschaftswunderland. Und die Trans*menschen? Sie mussten sich wieder verstecken, wie schon vor 1945. Und schwul und trans* wurde weiter vermischt von einer Psychiatrie, die die Standards des 19. Jahrhunderts übernahm und sich nur mühsam und langsam in die Moderne stotterte: Erst ab den 1990er Jahren dämmerte es Vertretern der Psychiatrie, dass Trans*menschen nicht krank sind, sondern dass sie Träger einer Normvariante sind. Das sie nur so leben wollen, wie alle anderen auch, nämlich mit einem Gleichklang von körperlichem und psychischem Geschlecht. Jetzt erst eigentlich kam der Geist von Magnus Hirschfeld über Vertreter_innen der US-Psychiatrie wirkungsvoll nach Deutschland zurück.
Und heute noch arbeiten wir am Abbau der Schatten des 19. Jahrhunderts: 2011 war es das Bundesverfassungsgericht, dass die Bestimmung des "Transsexuellengesetzes", dass nämlich eine Unfruchtbarmachung und geschlechtsangleichende Operation VOR der Personenstandsänderung erfolgen müsse, für ungültig erklärt wurde. Das war die Beseitung eines rassenhygienischen Reliktes.
So ist die Zeit des NS also mehr als nur eine besondere Episode in der Trans*geschichte. Sie ist ebenfalls Teil einer langen Diskriminierungsgeschichte, die in die Jetztzeit reicht. Was lernen wir daraus? Es geht nicht nur um die Bekämpfung von Rechtsaußen, sondern auch um die Akzeptanz von Trans*. Es geht darum, dass die politischen Kräfte in diesem Land endlich verstehen, wie wichtig es ist, die alten eingeschliffenen Diskriminierungsmuster durch konsequentes Auftreten gegen die Pathologisierung/Krankerklärung von transidenten Menschen aufzuweichen. Und zwar alle demokratischen Parteien. Und das ALLE demokratischen Parteien endlich einmal verstehen, dass die Diversitätsbewegung und in ihr Trans* dasjenige in extremer Weise stützt, was sie selbst wortreich permanent vertreten: Die Bewahrung der Demokratie!
Viele Grüße,
Eure Livia
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